Hewlett Packard iPAQ 614
Geschrieben von Andreas Erle (20.04.2008 00:00 CET)
Ich habe mich schon im Blog ausführlich darüber ausgelassen, wie HP aus meiner Sicht die lange wirklich unangefochten bestehende Vormarkstellung für Windows Mobile-Geräte Stück für Stück selbst demontiert hat. Allerdings: nach einigen Ankündigungen für neue Geräte und die bekannt gewordenen Features schien Hoffnung in Sicht, dass endlich mal wieder Gerate aus dem Hause Hewlett Packard die Vorherrschaft von HTC zumindest ein wenig ins Wanken bringen könnten. Dann allerdings kamen diverse Meldungen, HP habe mit dem neuen Hardwarepartner Probleme, man würde Geräte in den USA gar nicht auf den Weg bringen, und langsam aber sicher wuchs die Befürchtung, dass aus dem erhofften Befreiungsschlag ein Rohrkrepierer würde.
Nun liegt mir mit dem iPAQ 614 der erste der neuen PDAs vor… und, ohne zu viel vorweg nehmen zu wollen, ich
sehe meine Befürchtungen mehr als bestätigt. Leider.
Das als "Business Navigator" angepriesene Gerät hat eindrucksvolle
Leistungsdaten: einen 520MHz Prozessor 256 MB ROM, 128MB RAM, ein
integriertes HSDPA-Modem, AGPS, eine Nummerntastatur (die vor allem den
Handytelefonierern und -SMS-ern Freude bereiten dürfte) und eine
innovative Lösung mit einem integrierten Scollrad. Alles in allem also
ein vielversprechendes Gerät.
Schon beim ersten Auspacken fällt auf, dass sich der iPAQ 614 von seinen Vorgängern schon von der Haptik unterscheidet: Dies lässt sich wenig präzise in Worte fassen: Auch wenn er nicht schlecht aussieht, so wirkt er doch klobig, die glänzende Oberfläche ist weniger Blick- als Staubfang, und alles in allem wirkt das Gerät ein wenig wie ein hübsches Spielzeug. Die Integration der Nummerntastatur ist natürlich eine sehr subjektiv zu beurteilende Geschichte: Ich als Vielschreiber kann so gar nichts damit anfangen, denn meine Kontakte sind alle irgendwo in visuellen Programmen gespeichert oder werden direkt aus der Kontakte-Applikation geladen, ganz selten wähle ich Nummern wirklich per Tastatur. Und für jemanden, der Texte nicht durch Mehrfachdruecken von Zahlentasten komponieren will, ist die Tastatur auch für nichts anderes zu gebrauchen, und damit nutzlos. Das wiederum mag aber für andere Anwender wieder ganz anders sein…
Unzweifelhaft gut gedacht, aber partiell nicht zuende gedacht ist das Scrollrad in der Mitte dieser Tastatur. Dieses ist nicht physisch bewegbar, sondern nur eine Sensorfläche, die durch Bewegung des Daumens angesprochen wird. Das funktionert hervorragend, und wer einmal einen iPOD mit dessen Scrollwheel verwendet hat, der kann sich ungefähr vorstellen, wie es funktioniert. Der taktische Fehler aber daran: Dieses Rad ersetzt den Joystick, der normalerweise für das Bewegen in Menüs vorgesehen ist. So kann man damit zwar Rollen, will man sich aber beispielsweise in einem Text bewegen, dann fehlt dafür einfach die Funktion. Und in den Menüs kann man nur das Scrollrad ausschalten oder einschalten, nicht aber dessen Funktionen beeinflussen. Die Konsequenz: Man hat dauernd den Stift in der Hand… was bei dem Trend zur Einhandbedienung archaisch anmutet und den Bedienkomfort massiv schmälert, zudem das Rad auf Grund seiner Natur auch keine "Drückfunktion" hat, mit der eine Option bestätigt werden kann, so muss immer die daneben liegender Return-Taste gesucht und gedrückt werden.
Hinzu kommt, dass das Gerät alles andere als taschenkompatibel ist. Zum einen ist die Größe ein Faktor, der dem entgegensteht (allerdings ohne Frage noch problemlos zu bewältigen wäre), zum anderen aber zieht das hochglänzende Gehäuse Staub und Dreck an wie der Käse die Mäuse. In der Summe ist man also einen guten Teil der Nutzungszeit damit beschäftigt, das Gerät zu putzen… Auf der positiven Seite hat HP einiges an Tasten hinzugefügt, die die Bedienung einfacher machen sollen: so kann direkt das Display gedreht werden, Startmenü, eine Taste für OK und der Ein/Ausschalter sind nah beieinander. Bedingt durch das große Display aber liegen die Tasten im unteren Viertel des Geräts, was den Schwerpunkt beeinflusst. Hält man es in einer Hand und bedient die Tastatur mit der selben, dann tendiert das Gerät zum Kippen nach hinten, und auch wenn dies nicht wirklich geschieht, verunsichert es den Benutzer und beeinflusst das Bediengefühl.
Kommen wir zur Leistung: 520MHz sind für einen aktuellen PDA eine ganze Menge, und so erwartet man zumindest
in den Menus eine rasend schnelle Reaktion auf Benutzeraktionen. Fehlanzeige: Es kommt nicht selten vor, dass man
ein bis zwei Sekunden wartet, bis ein Menü sich öffnet, ein Programm eine erste spürbare Reaktion
zeigt etc. Und das ist, auch wenn einige Geräte daran kranken und dies nicht alleine ein Problem des 614 ist,
ein weiterer Faktor, der zum negativen Gesamteindruck beiträgt.
Meckere ich zu sehr? Mir scheint es fast selbst so, aber die Häufung von Dingen, die einfach stören,
ist so hoch, dass es mir in der Seele weh tut… ehrlich!
Navigation: Unendliche Möglichkeiten… oder zumindest meint man dies. HP
hat sich dagegen entschieden, eine echte Navigationssoftware
beizulegen, einzig Google Maps ist im Standard an Bord, um das GPS zu
nutzen. Wer dann eine Zusatzsoftware installiert (in meinem Fall den
Mobile Navigator)p, der fällt von einem Frustanfall in den nächsten.
Erst einmal erlaubt die Standardkonfiguration keinen Zugriff auf das
GPS, die automatische Suche führt einfach dazu, dass konsequent kein
GPS gefunden wird. Stellt man dann in den Hardwareeinstellungen im
System den internen Port auf GPD1 um, dann ist zumindest dieses Problem
gelöst. Das führt aber zu weiterem Frust: bis die Position erst mal
bestimmt ist, gehen einige Minuten ins Land. Das mag nach einem Reset,
bei dem scheinbar der Satellitenalmanach gelöscht wird, noch der Fall
sein, aber doch nicht bei jedem Beenden und Starten des Programms? In
der Praxissituation stand ich in unbekanntem Terrain und musste meine
grobe Richtung bekommen… und warte 5 Minuten auf einen Fix. Gerät aus,
Gerät später wieder an, und das GPS ist scheinbar ausgeschaltet.
Programm beendet, neu gestartet, GPS ist da, Fix dauert 5 Minuten. Ich
habe die unterschiedlichsten Geräte mit integriertem GPS getestet, ob
nun PDAs oder PNAs, und der iPAQ 614 bekommt von mir ohne weiteres
Überlegen die Goldene GPS-Zitrone. Ob ich nun einen Touch Cruise, einen
XDA Orbit oder eines der diversen Navigon- oder TomTom PNAs nehme, sie
alle sind signifikant besser… sowohl vom Lieferumfang als auch von der
Qualität.
Und nun sitze ich hier, lese das bisher Geschriebene und frage mich, was denn an Positivem übrig bleibt? Das Display, ohne Frage: Hier ist HP den eigenen Standards treu geblieben und hat ein wirklich superscharfes, klares Display verbaut. Zwei andere Dinge sind zwar positiv, aber irgendwo schon soweit Standard, dass sie eigentlich keiner Erwähnung bedürfen sollten: Der microSD-Slot liest SDHC-Karten, und HP ist vom ehemaligen proprietären Stecker auf miniUSB umgestiegen. Ansonsten, und das tut mir in der Seele weh, ist der iPAQ 614 einfach schlecht.
Parallel dazu habe ich von Michael die Anfrage bekommen, wie denn meine Meinung sei, und auf eine Vorabversion meines Testes folgende Rückmeldung bekommen:
"Hallo Andreas,
dem habe ich nur wenig hinzuzufügen - ich bin enttäuscht und sauer:
Eine ganz lahme Kiste, die viele technische Mängel aufweist: Die Genauigkeit der Stiftbedienung, trotz mehrfacher
Ausrichtung, ist ungenügend. Das Gerät erwartet eine zu hohe Stiftdruckstärke, der Akku ist eine
Katastrophe (trotz eingespieltem Akku-Update!), das "tiefergelegte Display" hält Schmutz in den
vier Ecken fest, das Gerät sieht billig aus usw. usw.
Bei der fehlenden Bestätigungstaste für das Navirad habe ich zunächst an eigene Bedienfehler gedacht
und bin nun erleichtert, dass ich nicht zu blöd bin ...
Ich schick's zurück, warte weiter auf einen QTEK8310-Nachfolger und nutze weiter das dicke S730 ..."
Preis:
ab EUR 529,- hier; der 614 ist ohne Kamera, der 614C mit KameraFazit:
ür das Geld, das der iPAQ 614 kostet, kann man sich ein deutlich besseres Gerät zulegen, sowohl von der Ausstattung als auch von der Leistung her. Wenn er stellvertretend für die Qualität kommender HP-PDAs ist, dann brauchen die etablierten Hersteller keine Konkurrenz zu fürchten, denn sind sie dem ehemaligen Platzhirschen im Schlaf überlegen. Wer die World of PPC (die ja als World of i und damit als iPAQ-Seite angefangen hat) verfolgt hat, der weiß, wie sehr ich ein Fan der iPAQs war, und kann damit ermessen, wie schwer mir eine solch negative Rezension fällt. Am Ende des Tages hilft hier kein Schönreden, der iPAQ 614 ist für mich im Vergleich zur Konkurrenz ein Totalausfall. Leider!