Die Erstellung von Karten für Navigationssysteme - Navigation Technologies
Geschrieben von Andreas Erle (01.07.2004 00:00 CET)
Die Welt ist einfach. Strom kommt aus der Steckdose, das Auto fährt, wenn man den Schlüssel im Zündschloss
dreht und im Fernsehen gibt es immer bunte Bilder. Mit Fug und Recht könnte man dann auch auf dem Standpunkt
stehen, dass das detaillierte Kartenmaterial, das Grundlage für so viele unterschiedliche Navigations-Anwendungen
ist, auch "einfach so" vorhanden ist. Müßig zu sagen, dass dies zu einfach wäre...
Vergleicht man eine elektronische Karte mit einer Papierkarte, dann ist die Menge der enthaltenen Informationen
auf den ersten Blick nicht sonderlich unterschiedlich: Der Name einer Strasse, ihr Verlauf, die Hausnummern in
Bereichen, Orientierungspunkte, all dies findet man auch auf detaillierten Straßenkarten. Die Umsetzung in
eine digitale Karte, die Grundlage für eine feine, detaillierte und plausible Routenplanung ist, bedarf eines
deutlich höheren Datenvolumens.
Es gibt zwei große Firmen, die sich mit der Bereitstellung von Kartendaten für Navigationssysteme befassen:
TeleAtlas und Navigation Technologies (NAVTECH®). Beide Unternehmen haben als große Kunden die Automobilhersteller
und die großen Hersteller von Festeinbau-Navigationssystemen (wie VDO Dayton, Becker, etc.). Und einen weithin
verbreiteten Irrglauben sollte man gleich ausräumen: Zwischen der Datenbank, die die Hersteller bereitstellen,
und dem fertigen Endprodukt, was in einem Navigationssystem gleich welcher Art verwendet wird, liegen noch eine
Menge Arbeitsschritte!
Der Besuch bei Navigation Technologies (NAVTECH®) in Essen:
NAVTECH® ist dem "Privatnavigierer" vor allem
von Produkten wie dem Destinator und dem Kartenmaterial für Magellan-Handgeräte
und den Karten für den Navtalk GSM bekannt. Die Zentrale des 1985 gegründeten
Unternehmens sitzt in Chicago, Illinois in den USA, weltweit werden 100 sogenannte "Field Offices" in
18 Ländern unterhalten, die für die Pflege der Datenbanken ihres jeweiligen Bereiches verantwortlich
sind.
Kleinste Informationseinheit, die in der Datenbank gespeichert wird, ist ein "Node", ein relevanter Punkt in der Karte, der durch ein Quadrat symbolisiert wird. Dies kann z.B. die Kreuzung zwischen zwei Strassen sein, aber auch auf einem Straßenabschnitt der Beginn oder das Ende einer Tempo 30-Zone, etc. Die Verbindung zwischen zwei Nodes, der Link, ist schließlich der Informationsträger der Datenbank: Auf einem Link liegen um die 150 Attribute, die zum Großteil direkten Einfluss auf die Planung einer Route haben, wie z.B. Bebauung, Geschwindigkeitsbegrenzung, etc. Die Functional Class eines solchen Links gibt an, welcher Straßenkategorie er zugeordnet ist. Die Functional Class 1 bezeichnet meist Autobahnen, die Functional Class 5 wird dann für Wohnstrassen verwendet. Plant man also eine Route mit der Präferenz auf Autobahnen (schnellste Route), dann werden vornehmlich Straßen der Functional Class 1 verwendet. Hier machen aber die Ausnahmen das Salz in der Suppe aus: Hat man Autobahnen, die noch nicht durchgebaut sind (so z.B. die A31), dann wird die bestmögliche Verbindung über andere Strassen vom einen zum anderen Teilstück ebenfalls als Functional Class 1 definiert, um ein Navigationssystem nicht zu einem Riesenumweg über eine durchgängig ausgebaute Autobahn zu verleiten. In Bereichen, in denen eine geometrisch komplexere Straßenführung vorliegt (bestes Beispiel sind Autobahnauffahrten), werden als Kreise dargestellte "Shapes" verwendet, die dicht hintereinander liegen und so die tatsächliche Form der Streckenführung eher darstellen als eine Linie.
Wer sich bei seinem Navigationssystem der dynamischen Routenplanung erfreut, die vor Staus warnt und automatisch
die geplante Route modifiziert, der findet den Ursprung dieser Funktionalität ebenfalls in der Datenbank.
Dort ist die Nummer der PLOC, der Problem Location, hinterlegt, die vom Radiosender übermittelt wird. Diese
basiert auf einer von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) herausgegebenen Liste, die zu den bereits
bestehenden Informationen der Datenbank hinzugefügt wurde. Wird ein Stau gemeldet, so wird dem Navigationssystem
die Kennung der PLOC übermittelt, ab der der Stau besteht, diese kann dann umgesetzt werden.
Wer sich übrigens anhand des Kartenmaterials und der Genauigkeit des Routings der Illusion hingibt, jede Hausnummer
sei in der Datenbank als eigener Node gespeichert, der irrt. Jeweils für eine Linie (Link) liegt fest, welchen
Hausnummernbereich sie abdeckt und wie die Hausnummern verteilt sind (beid- oder einseitig).
Momentan werden die Informationen noch mal deutlich verfeinert, da in Zusammenarbeit mit den Automobilherstellern
am ADAS, dem Advanced Drivers Assistance System gearbeitet wird. Hierbei sollen dem Fahrer anhand der Daten Zusatzfunktionen
als Hilfe bereit gestellt werden: Das Fahrzeug "lenkt" beispielsweise mit den Scheinwerfern in eine Kurve
hinein, um den Straßenverlauf besser auszuleuchten, die gespeicherten Geschwindigkeitsbegrenzungen können
zur Warnung vor erhöhter Geschwindigkeit genutzt werden, etc., all das auf Basis der NAVTECH®-Datenbanken
im Zusammenspiel mit der Fahrzeug-Telemetrie.
Wie an diesem Beispiel ersichtlich ist, kommen die Informationen auf verschiedenen Wegen in die Datenbank. Eine wichtige Quelle sind z.B. Kartendaten der Landesvermessungsämter, Topografische Karten, Datenbanken, die zusätzliche Informationen enthalten, etc. Die meisten der Informationen werden aber tatsächlich mit Feldfahrzeugen erfasst, mit Hochleistungsempfängern und allem möglichem technischen Equipment ausgerüsteten Autos, in dem Mitarbeiter Strecken abfahren.
Auf einem Notebook befindet sich dann ein Ausschnitt der Datenbank, der visualisiert wird, in dem die zurückgelegte Strecke aufgezeichnet wird, wo per Headset Anmerkungen aufgesprochen werden können. Pro Sekunde wird einmal die Position abgespeichert, bei Tempo 50 wird also ungefähr alle 14 Meter ein Positionspunkt gesetzt. Ist das Fahrzeug wieder zurück, dann werden die Änderungen mit der Datenbank abgeglichen, die Sprachhinweise ausgewertet und umgesetzt. In regelmäßigen Abständen wird so ein neues Release erzeugt, das den Kunden dann zur Verfügung gestellt wird.
Aus diesen Datenbanken muss dann vom Käufer mittels eines Compilers das tatsächlich verwendete Kartenmaterial
für die vertriebene Software erstellt werden. Die Anforderungen sind dort durchaus unterschiedlich: Bei einem
für einen PDA verwendeten Navigationssystem wird das Interesse sein, nur relevante Informationen zu übernehmen,
um die Datenmenge gering zu halten, dies ist bei einem Festeinbausystem mit DVD-Laufwerk beispielsweise eher zweitrangig.
Ein in einen BMW eingebautes System wird Wert darauf legen, die BMW-Vertragshändler annavigieren zu können,
für einen Mercedes wird die Priorität anders liegen.
Wer sich also über die fehlende Aktualität des Kartenmaterials beschwert, der wird nur extrem selten
dabei beim Kartenhersteller den richtigen Ansprechpartner finden, sonder vielmehr beim Anbieter des Systems, der,
sei es aus Kosten- oder aus logistischen Gründen einen älteren Stand der Karten verwendet.
An dieser Stelle einen ganz herzlichen Dank an Bert Ruloffs für den hochinteressanten Nachmittag!